Politik

"Freikarte" für Bordell-Besuch? Flüchtlinge dürfen nicht gratis in den Puff

Jeder halbwegs klar denkende Mensch entlarvt die Lügengeschichte über steuerlich finanzierten Sex für Flüchtlinge sofort. Doch offensichtlich ist die Schar der Beschränkten sehr groß.

In den Weiten der sozialen Netzwerke findet auch die abwegigste Lügenschmonzette ihren überzeugten Anhänger. Jüngstes Beispiel: die Legende von Bordell-Freikarten für Flüchtlinge.

"Schaut mal, für die armen Asylbewerber, die ihre Triebe nicht im Griff haben!", heißt es vor Empörung triefend in einem Post, der sich seit Ende Januar bei Facebook verbreitet. Dazu gibt es ein Foto der vermeintlichen Freikarte. "Für einen einmaligen kostenlosen Bordellbesuch", steht auf dem Zettelchen, der vom "Sozialamt des Freistaates Bayern" ausgestellt worden sein soll.

Fremdenfeindliche Propaganda bei Facebook.

Fremdenfeindliche Propaganda bei Facebook.

Die Webseite mimikama.at, die sich Fälschungen in sozialen Netzwerken widmet, brauchte nicht lange, um die Liker und Teiler dieses Posts bloßzustellen. Denn: Erstens gibt es überhaupt kein Sozialamt des Freistaates Bayern. Sozialämter gibt es nur in den jeweiligen Städten eines Bundeslandes. Auch das Wappen auf dem "Kontrollabbiß"-Streifen (man beachte die Rechtschreibung) ist falsch. Dass der Gutschein im katholischen Bayern nur "montags bis freitags und an evangelischen Feiertagen von 9 bis 16 Uhr" gilt, hätte auch schlichtere Gemüter stutzig machen können.

Puff-Gutscheine, die derzeit auf Pegida-Fanseiten und von anderen "Asylkritikern" verbreitet werden, kursieren schon seit Jahrzehnten. Sie dienten Hetzern früher aber eher, um Sozialhilfeempfänger zu verunglimpfen. Getreu dem Motto: "Jetzt müssen wir ehrlichen Steuerzahler den Hartzern auch noch den Sex bezahlen." Die "Freikarte", die derzeit besonders beliebt ist, fand mimikama.at dann auch prompt auf der Seite lachschon.de - in einem Beitrag aus dem Jahr 2011.

Es ist kaum zu glauben, dass Menschen tatsächlich auf diese Posts hereinfallen, deren Grundlage offensichtlich Scherzartikel sind, die es in einschlägigen Geschäften zu kaufen oder auf entsprechenden Seiten zum Selbstausdrucken gibt.

Doch so lustig diese Art der Realsatire für die Schar halbwegs klar denkender Menschen ist, so dramatisch ist sie für den beschränkten Rest - insbesondere dann, wenn er sich in einer webbasierten Informationsblase befindet, in die nur noch Erzählungen eindringen, die das eigene Weltbild festigen.

War da nicht was?

Beunruhigend ist zudem: Auch entlarvte Lügen entfalten eine Wirkung. Der Journalist Sebastian Herrmann schrieb erst vor ein paar Tagen in einem Beitrag für die "Süddeutsche Zeitung": "Gegen die Verbreitung von Gerüchten haben Psychologen und andere Wissenschaftler bisher keine effektive Therapie gefunden." Herrmann spielt nicht auf die Freikarten-Legende an, sondern auf einen anderen Fall, den Fremdenfeinde jüngst missbraucht haben, um für ihre Politik Stimmung zu machen. Es geht dabei um die 13-jährige Berlinerin, die behauptete von "Südländern" vergewaltigt worden zu sein, in Wirklichkeit aber 30 Stunden bei ihrem Freund untertauchte. Sie wollte einem Elterngespräch an ihrer Schule ausweichen. Er erwähnt auch die Lügengeschichte, die ein Berliner Flüchtlingshelfer in die Welt setzte, um das Behördenversagen des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) anzuprangern.

Herrmann beschreibt das grundsätzliche Dilemma im Umgang mit derartigen Geschichten: "Wer Gerüchte widerlegt, befeuert deren Verbreitung." Zugleich dürfe Desinformation aber nicht unwidersprochen bleiben. Und so mäandern die Behauptungen und die Gegenbehauptungen, die Lügen und die Fakten durch die Wahrnehmung. Wissenschaftler konnten laut Herrmann nachweisen: Sind die Details einer Falschmeldung samt all ihren Widersprüchen und Richtigstellungen nach einiger Zeit nicht mehr so präsent, ist auch nicht mehr klar, was Irrtum und was Wahrheit ist. Für Vorurteile und Angst reicht aber schon das dumpfe Gefühl, das mit den Worten "War da nicht was?" einhergeht.

Quelle: ntv.de

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